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Brain Technology: Ein Hirn ist nicht genug

Pascal Kaufmann, CEO und Gründer von Starmind Quelle: Starmind International AG

Ein Interview mit CEO Pascal Kaufmann

Je mehr Mitarbeiter ein Unternehmen hat, desto schwieriger ist es, das Wissen dieser Mitarbeiter für alle verfügbar zu machen. Selbstlernende Wissensnetzwerke gewinnen daher zunehmend an Bedeutung. Das zeigt auch das Beispiel der Starmind International AG aus der Schweiz. Pascal Kaufmann, Mitgründer und CEO von Starmind hat sich auf der Suche nach einer Lösung für dieses Problem das menschliche Gehirn zum Vorbild genommen. Für das Software-Unternehmen aus der Schweiz sind die Mitarbeiter eines Konzerns wie die Zellen eines Gehirns. Im Interview erklärt Kaufmann, warum es langweilig ist, mit nur einem Gehirn zu denken, wie Unternehmen das Abwandern von Wissen verhindern und versteckte Talente entdecken können.

Das Unternehmen: Das Angebot von Starmind richtet sich an Unternehmen, in denen klassisches Wissensmanagement gescheitert ist. Mit Hilfe von intelligenten Algorithmen wird ein neuer Ansatz verfolgt. Die Software bietet die Möglichkeit, das Wissen der Mitarbeiter zielgerichtet abzufragen. Auch in Deutschland setzen bereits DAX-Konzerne auf die „Brain Technology“ der Schweizer. Die Starmind International AG wurde im Jahr 2010 in Zürich gegründet.

Die Person: Vor der Gründung von Starmind war Pascal Kaufmann (35) als Neurowissenschaftler an der ETH Zürich und an der Northwestern University, USA tätig. Sein Forschungsgebiet ist die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Die Programmierung der Starmind-Software stützt sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse über virtuelles Hirngewebe und selbstlernende neurale Netzwerke.

Herr Kaufmann, warum ist Ihnen ein Hirn nicht genug?

Ich glaube daran, dass ein Mensch mit tausend Hirnen gleichzeitig denken sollte. Ich finde es fast etwas langweilig, nur mit einem Hirn zu denken. Steve Jobs hat mal gesagt, dass er tausend Songs für die Westentasche möglich machen will. Damals haben alle gesagt: „So viele CDs kannst du nie mit dir rumtragen!“ Wenn wir heute sagen, dass wir eines Tages mit tausend Hirnen denken sollten, dann reagieren viele erstaunt und sagen: „Ich habe aber nur ein Hirn und das reicht mir!“ Eines Tages werden wir eine Google Glass oder eine digitale Linse auf dem Auge tragen und direkt mittels Brain Technology an große künstliche Hirne angeschlossen sein, um sofort die passende Antwort erhalten.

Wie die Geschichte bei Steve Jobs weiterging wissen wir. Was erhoffen Sie sich für die Zukunft?

Jede Firma über 1000 Mitarbeiter hat Bedarf an Brain Technology! Und es scheint zu funktionieren. Wir haben große Firmen, auch DAX-Konzerne, als Kunden. Wir konnten einige der renommiertesten Firmen der Welt von unserer Technologie überzeugen. Das sind Unternehmen, die teils auf allen Kontinenten tätig sind. Bei dieser Größe ist es auch nur konsequent, auf ein künstliches Gehirn zu setzen. Ein Gehirn mit nur fünf Gehirnzellen ist nicht besonders interessant – aus diesem Grunde richten wir uns auf die führenden Konzerne weltweit aus.

Starmind selbst hat deutlich weniger Mitarbeiter. Heißt das, dass sie ihre eigene Software nicht benutzen?

Wir sind gegen 40 Personen bei Starmind verteilt über mehrere Standorte und nutzen die Software trotzdem ziemlich intensiv. Wenn ich ein Problem habe oder auf eine Frage einfach keine Antwort weiß, dann gebe ich das in die App ein und meine Kollegen in Zürich, London oder Frankfurt erhalten die Frage und lösen das Problem. Es geht also auch bei kleineren Netzwerken, ist aber weniger effektiv. Ein großes Unternehmen kann auf einen viel größeren Schatz an Know-How zurückgreifen.

Was Sie beschreiben klingt wie eine firmeninterne Google-Suche – ist das richtig?

Natürlich laufen im Hintergrund Algorithmen über Server in einem Rechenzentrum. Aber das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit zu Google. Starmind funktioniert so: Stellen Sie sich vor, Sie sind neu in einem Unternehmen. Sie kennen die Betriebsabläufe noch nicht und wissen genauso wenig, wer die richtigen Ansprechpartner sind. Also stellen Sie Starmind eine Frage und innerhalb kurzer Zeit haben Sie die passende Antwort. Starmind ist das Gehirn, das genau weiß, wen es fragen muss. Das ist einfacher als so lange Menschen anzurufen und bei der Arbeit zu unterbrechen, bis endlich einer die richtige Antwort kennt.

Selbsternannte Experten gibt es viele. Woher weiß Starmind, wen es fragen muss?

Bei der Implementation des Systems bekommt jeder Mitarbeiter des Unternehmens einige Fragen gestellt. Es geht aber nicht darum, diese Fragen zu beantworten, sondern die Person zu benennen, die Experte auf dem Gebiet ist. Wenn fünf Personen dann unabhängig voneinander sagen: „Mit dieser Frage gehe ich am besten zu Freddy, weil der Freddy ist ein Crack auf dem Gebiet!“ Dann ist Freddy ein vielversprechender Experte. Und dieser Freddy ist vielleicht ein introvertierter Kerl, der in seinem Büro hockt und niemals sagen würde „Hey ich kenne die Lösung!“ oder „Ich habe eine tolle Idee!“  

Das Firmengehirn findet also auch die „Hidden Talents“?

So ist es. Ich glaube, dass zwanzig Prozent des Wissens einer Firma dokumentiert in Archiven steckt, die aber statisch sind und von niemandem gelesen werden. Und die anderen achtzig Prozent des Wissens stecken in den Köpfen der Mitarbeiter. Das sind Erfahrungen, die über Jahrzehnte aufgebaut worden sind – und genau das wollen wir haben. Dieses Know-How will Starmind erschließen.

Im Unternehmen ist das nötige Wissen einfach nicht vorhanden?

Mit Starmind zeigt sich sehr schnell, wo Ressourcen und Wissen fehlen. Wenn also eine Frage nach mehreren Runden immer noch nicht beantwortet werden kann, dann erkennt Starmind dies. Das sind die sogenannten White Spots. Diese blinden Flecken werden bei Starmind kartographiert. In dieser Karte zeigen sich die Stärken und Schwächen eines Unternehmens

Es gibt aber auch solche Mitarbeiter, die weniger technikaffin sind. Wie schaffen Sie es, auch die von Starmind zu überzeugen?

Anfang 2012 haben wir diese Technologie bei Großkonzernen das erste Mal implementiert. Aber die große Frage war: Wie initialisiert man ein solches System? Es gibt ja bereits eine Menge Angebote im Bereich der firmeninternen Netzwerke – sozusagen Xing oder Facebook für Firmen – das funktioniert aber eigentlich nie. Weil genau diese Non-Digital-Natives sich das anschauen und sagen: „Das ist nichts für mich!“ und die App wieder aus der Hand legen. Aber wenn wir unser Starmind-Hirn in der Mensa oder im Foyer eines Großkonzerns aufstellen, dann finden dies die Mitarbeiter das spannend, sie wollen wissen, was es damit auf sich hat und wollen es auch ausprobieren. Deshalb wird der Rollout intensiv begleitet und passende Maßnahmen für das Unternehmen definiert.

Wir reden hier also über ein ganz reales, physisches Hirn vor Ort?

Starmind implementiert natürlich keine echten Gehirne – aber unser Modell ist dem menschlichen Vorbild nachempfunden. Wir stellen Starmind Kunden 2 Meter große Plexiglas Hirne zur Verfügung, in deren Innern Projektoren direkt an die Glasoberfläche von innen die Aktivität des Netzwerkes in Echtzeit aufzeigen. Wenn eine Frage gestellt wird, wird diese auf die Hirnrinde projiziert. Damit lässt sich die gesamte Aktivität eines Großkonzerns abbilden. Das heißt, alle Fragen die gestellt werden tauchen auf der Oberfläche des Modells auf. Das ist schon ein Hingucker – auch für weniger technikaffine Mitarbeiter.

Wie ist die Resonanz aus den Unternehmen, die Starmind bereits einsetzen?

Als UBS das System eingesetzt hat, brachte das natürlich enorme Aufmerksamkeit. Ich sehe auch keinen Grund, warum nicht jede Firma so ein Hirn einsetzen sollte. Wir glauben, dass jede Firma mit mehr als 1000 Mitarbeitern ein künstliches Hirn braucht. Ein Hirn, das eine Frage beantworten kann und zwar, indem es die Frage automatisiert einem Experten – einer Hirnzelle – zukommen lässt, ist im Alltag sehr nützlich. Seit dem Einsatz unserer Technologie innerhalb großer Pharma-Konzerne, Banken oder Industriefirmen sind die Systeme bei Kunden immer nur gewachsen und es wurden Mehrjahresverträge abgeschlossen. Wir werten dies als starkes Signal von Seiten der Kunden.

Was erhoffen sich ihre Kunden von Starmind?

Den Nutzen von Starmind kann der Kunde sehr einfach messen. Nachdem das Hirn gewachsen ist, messen wir die „Time-To-Solution“, also die Zeit die Starmind benötigt, eine Frage zu beantworten. Der Vernetzungsgrad ist entscheidend: Wenn Starmind neunzig Prozent aller Fragen  innerhalb von zwei Stunden löst, ist das ein gutes Ergebnis. Wir haben auch ein Feature eingebaut, das den Fragenden einschätzen lässt, wie viel Zeit er gespart hat. Der Einzelne spart vielleicht ein oder zwei Stunden, aber wenn ein paar tausend Mal Zeit gespart wird, dann haben wir den gewünschten Business Case. Das bedeutet bei einem Großkonzern eine durchschnittliche Zeitersparnis von 3,4 Stunden pro Frage. Und Zeit ist Geld.

Starmind findet also die Multiplikatoren und Experten im Unternehmen. Wie reagiert Starmind, wenn ein solcher Experte das Unternehmen verlässt – Stichwort: Brain Drain?

Wenn heute ein langjähriger Mitarbeiter die Firma wechselt, nimmt er sein ganzes Wissen mit – das kann eine schmerzhafte Erfahrung sein, denn da geht ein riesiger Wissensschatz verloren. Starmind behält das Wissen in der Firma und macht es dort weiter zugänglich. Wurde eine Frage einmal beantwortet und für gut befunden, gibt das System beim zweiten Mal automatisch diese Antwort aus.

Ein unbefugter Zugriff oder gar gezielte Industriespionage wäre fatal für ein Unternehmen das mit Starmind arbeitet. Wie sicher ist das System?

Wir haben in der Schweiz einen Standortvorteil zum Beispiel gegenüber den USA. Starmind hostet alle Daten in den sichersten Servern der Schweiz. Eine Bank wie die UBS, die Swisscom oder unsere Kunden aus Pharmazie oder Industrie, haben enormes Interesse an der Sicherheit des Systems. Unsere Rechenzentren entsprechen den höchsten Sicherheitsanforderungen. Um die Sicherheit von Starmind zu prüfen, finden regelmäßig simulierte Angriffe durch externe, unabhängige Partner statt.

Sie scheinen sehr überzeugt von der kollektiven, künstlichen Intelligenz. Wird der Einzelne durch ein solches System eigentlich dümmer?

Der Einzelne lernt nur noch das, was ihm auch Spaß macht. Wenn ich jetzt etwas über BWL sagen soll – und ich hab keine Ahnung von BWL – dann finde ich hundert Ausreden weshalb ich nichts antworte. Wenn ich aber zu Hirnforschung gefragt werde – mein Lieblingsthema – dann höre ich nicht mehr auf zu reden. Jeder von uns hat bestimmte Themengebiete, über die er gerne spricht. Starmind erlaubt uns, diese Lieblingsthemen zu vertiefen und trotzdem nicht zu Fachidioten zu werden. Wir verschaffen Menschen durch Starmind Zeit, sich auf die wirklichen Probleme zu fokussieren und Stärken zum Tragen zu bringen. Heute ist das für viele noch Zukunftsmusik.

Herr Kaufmann, ich bedanke mich für das interessante Gespräch.

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  • Starmind in 90 Sekunden: https://www.youtube.com/watch?v=jffXh_am1vg